Warum tut sie das? Weil katholisch sein ebenso einer politischen Karriere abträglich ist wie adlig sein. Obwohl sie andererseits homestories zuläßt, in denen uns berichtet wird, daß sie als Meßdienerin gedient hat, sich als gläubige Katholikin versteht, und, wann immer es möglich ist, in dem winzigen Ort in der Eifel, in dem sie geboren und aufgewachsen ist die Sonntagsmesse besucht.
Aber diese Homestories haben dann auch den gewissen Schnick, den cafeteriakatholische Homestories nun einmal haben.
Nahles hat die Methode Kennedy aus ganzem Herzen verinnerlicht. Nur so, indem er klar und eindeutig erklärte, daß seine religiöse Überzeugung nichts mit seiner politischen Praxis zu tun habe, daß er nur seinem persönlichen Gewissen, niemals der Lehre seine Kirche folgen werde, konnte ein Katholik in dem damals, Anfang der 60iger Jahre mehrheitlich weiß, angelsächsisch und protestantisch dominierten Amerika, Präsident der Vereinigten Staaten werden. Kennedy formulierte die Prinzipien der katholischen Schizophrenie während seiner Kampagne als er zu einer Rede vor der protestantischen Greater Houston Ministerial Association geladen wurde.
I do not speak for my church on public matters; and the church does not speak for me. Whatever issue may come before me as President, if I should be elected, on birth control, divorce, censorship, gambling or any other subject, I will make my decision in accordance with these views -- in accordance with what my conscience tells me to be in the national interest, and without regard to outside religious pressure or dictates. And no power or threat of punishment could cause me to decide otherwise.
Wenig später, als drei amerikanische Bischöfe erklärten, daß ein katholischer Christ keinen Kandidaten wählen dürften, der nicht die Sicht der katholischen Kirche im Hinblick auf Abtreibung und künstliche Empfängnisverhütung teile, kam die Probe aufs Exempel. Kennedy enthielt sich bewußt jeder Meinungsäußerung zu diesem Aufruf - und wurde gewählt.
Kennedy hatte in Wahrheit einen revolutionären Epochenwandel herbeigeführt, auch wenn er ihn nicht mehr selbst erlebte. In Wahrheit war der politische Code der USA niemals kirchlich, weder katholisch noch protestantisch, aber er war genuin christlich. Auch wenn die "founding fathers" häufiger Freimaurer als engagierte Christen waren, akzeptierten sie doch den christlichen Code, den Katalog der christlichen Prinzipien als genetischen Code ihrer Republik. Sie schrieben diesen Code in ihre Verfassungen: life, liberty and property.
Einer der bedeutendsten, zumindest der einflußreichste Soziologe der USA, Charles Murray hat das Jahr des Todes Kennedys, 1963 als den Wendepunkt angesehen, als das Ende des "sturdy codes" und den Beginn der Epoche der "ecumenical niceness".
Kommen wir zurück zu Andrea Maria Nahles. Vor vierzig Jahren diente sie in ihrer Gemeinde, wie sie stolz berichtet als erste Meßdienerin. Die Liturgierevolution hatte es möglich gemacht. War ihr wohl bewußt, daß sie damit ein Jahrtausende altes Tabu brach, daß sich bis in vorchristliche Zeiten zurückverfolgen läßt? Wahrscheinlich.
Noch eine Geschichte aus ihrer katholischen Kindheit, die sie der Presse immer stolz berichtet. Als der Weihbischof die Gemeinde besuchte, habe man ihr eingeschärft, den Herrn Bischof mit der korrekten Ansprache anzureden, nämlich mit "Hochwürdigster Herr Bischof". Sie weigerte sich, und begrüßten als Obermeßdienerin den "lieben Herrn Weihbischof".
Nun wäre ja gerade die traditionelle Ansprache in den antiautoritären Siebzigern mutig gewesen. Es hätte bedeutet, einer Institution die Ehre zu erweisen, die in der Kulturrevolution schon längst zu Boden gegangen war.
Kann eine Katholikin Sozialistin sein? Folgt man der authentischen katholischen Soziallehre, so wie sie von Leo dem XIIIten in seiner berühmten Enzyklika "rerum novarum" formuliert wurde, niemals.
Trotzdem hat sich Andrea Nahles ihre Selbständigkeit bewahrt. In Fragen des Lebensschutzes hat sie nicht nur einmal gegen ihre eigene Partei gestimmt..
Als es aber um das revolutionärste aller modernistischen Projekt ging, die Dekonstruktion der Ehe, nämlich die "Ehe für alle", hat sie versagt. Kein einziger Abgeordneter der SPD stimmte gegen die Verabschiedung von der elementarsten Institution des christlichen Abendlandes. Auch nicht Frau Andrea Maria Nahles.
Andrea Nahles ist nicht unverheiratet und nicht kinderlos, wie so manche unserer revolutionären Politikerinnen. Ihre Ehe ist geschieden, sie erzieht ihr Kind allein. Sie lebt noch immer in ihrem kleinen Eifel-Dort, sie besucht noch immer jeden Sonntag die Heilige Messe.
Ganz unsympathisch ist sie mir keineswegs. Aber gleichzeitig repräsentiert sie den vorherrschenden Typus des liberalen katholischen Politikers. Und dieser Typus erwartet von sich, wie es Kennedy formuliert hat, im Widerspruch zu seinen innersten Überzeugungen zu leben, weil es der Staatsraison entspricht oder - schlimmer noch - der Parteiraison.
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