Freitag, 17. August 2012

Das Urteil gegen Pussy Riot: Europäische Werte verletzt? Welche, bitte?

Die sympathischen jungen Anarcho-Feministinnen, die in der bedeutendsten Kathedrale der russischen Orthodoxie eine angeblich nur "Putin-kritische" Punkshow abgezogen haben, sind zu zwei Jahren Knast verurteilt wurden.

Mutti hält das für einen Verstoß gegen "europäische Werte". Nun bin ich als älterer Bewohner unserer bunten Republik ja schon daran gewöhnt, daß deutsche Beamte wie deutsche Politiker nicht mit dem "Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen" (Höcherl). Auch die Kenntnis einfacherer Rechtsnormen ist in Politikerkreisen nicht gerade weit verbreitet.

Aber wogegen verstößt eine Aktion im Altarraum einer christlichen Kirche, bei der das Christentum in Wort und Tat verhöhnt wird? Den Text des Songs kann man hier lesen. Die Aktion kann man sich hier ansehen.

Den passenden Paragraphen des deutschen StGB kann man hier nachlesen.
Wer 
1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder 
2. an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt, 
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Daß die Mädels "beschimpfenden Unfug" an einem Ort verübt haben, der dem Gottesdienst einer Kirche gewidmet ist, kann eigentlich auch der verbiestertsteAtheist nicht übersehen. Auch in Deutschland, wie auch in jedem anderen europäischen Land, wären die Mädels verknackt worden. Bei einer Strafandrohung von maximal 7 Jahren ist das Urteil von zwei Jahren sogar eher moderat. Knast hätte es mit einiger Sicherheit auch in Deutschland für eine solche Aktion gegeben, wohl auch in jedem anderen europäischen Staat, der die "europäische Werteordnung" wirklich hochhält. Denn zu dieser Werteordnung gehört, siehe Immanuel Kant et. al., das Recht auf freie und ungestörte Religionsausübung.

Die Zuckerpuppe, die im Gerichtssaal mit einem "No pasaran"-T-Shirt garniert mit einer geballten linken Faust aufgeschlagen ist, hätte sich eigentlich von Rechts wegen einen Sonderpreis verdient.

Für Nicht-68er: Die geballte linke Faust gilt als Symbol der Anarchokommunisten. "No pasaran" war die Kampfparole der spanischen Linken. Dem roten Terror derselben spanischen Linken fielen nach einer sorgfältig erarbeiteten Untersuchung aus dem Jahr 1998 6832 Angehörige des spanischen Klerus zum Opfer, rund 20 % aller spanischen Kleriker, darunter 283 Nonnen, 13 Bischöfe, 4172 Diözesanpriester und 2364 Mönche. Die Zahl niedergebrannter Kirchen hab ich gerade nicht zur Hand.

Nun ja, Mutti, die ja, wie man hört, inzwischen über ein iPad verfügt, kann man vielleicht zugute halten, daß es in der deutschen Wikipedia keine Informationen über christliche Märtyrer zu finden gibt. Auch nicht über den Roten Terror des spanischen Bürgerkriegs. Auch zum Thema Anti-Katholizismus hat die deutsche Wikipedia übrigens nichts zu bieten, ganz im Gegensatz zur englischen.

Der unsägliche Politkitsch, den deutsche Politiker zu dieser im Kern völlig banalen Affäre absondern, geht auf inzwischen auf keine Kuhhaut mehr. Den Knüller liefert natürlich eine grüne Politikerin.
Staatsanwältin tupft sich den Schweiß aus dem Dekolleté. Im Gericht stehen sich das schöne, moderne und das muffige alte SU Russland gegenüber.
twittert Marie-Luise Beck. Marie-Luise Beck galt ja noch nie als intellektuelle Größe. Aber für diese Mischung aus schwül-sexuellen Andeutungen, kitschiger Heroisierung von drei schlichten Politkleinkriminellen, und völlig verrutschten Analogien (Nadeschda Tolokonnikowa bezieht sich offensiv auf die spanischen Bündnispartner der stalinistischen SU) gebührt Marie-Luise Beck die Palme.

Muttis Kommentar ist nicht ganz so schwül, läßt aber dafür tiefer blicken:
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Verurteilung der drei Sängerinnen kritisiert. Das "unverhältnismäßig harte Urteil" stehe "nicht im Einklang mit den europäischen Werten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie", erklärte Merkel am Freitag. Zu diesen Werten habe sich Russland unter anderem als Mitglied des Europarats bekannt. "Eine lebendige Zivilgesellschaft und politisch aktive Bürger sind eine notwendige Voraussetzung und keine Bedrohung für Russlands Modernisierung", fügte Merkel hinzu.
Da kann man als Christ ja zunächst nur hoffen, daß sich diese Sorte "politische aktiver BürgerInnen" nicht noch vermehrt. An den Umgang der politischen Linken mit der Kirche in der DDR sollte sich die Pfarrerstochter Merkel eigentlich noch erinnern können. Aber auch unter den DDR-Evangelen gab es ja Oppositionelle und "Oppositionelle".

13 Kommentare:

  1. Wieder mal: Auf den Punkt getroffen. Und wenn man sich die Heularien der diversen Linken Kampfmedien antut, könnte einem schlecht werden. "Die Verbesserung des Bildungssystems" ist wirklich voll durchgeschlagen.

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  2. Danke für den Kommentar!

    Die ROK bittet den Staat jetzt um Gnade gegenüber verurteilten P.R.-Mitgliedern

    "… in der Hoffnung, daß sie auf eine Wiederholung ihrer blasphemischen Tat verzichten"

    http://www.interfax-religion.com/?act=news&div=9740

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  3. "Zu diesen Werten habe sich Russland unter anderem als Mitglied des Europarats bekannt."

    Hier gab und gibt es von Seiten der ROK grundsätzliche Einwände, die bislang unbeachtet geblieben sind. Ausgeführt wurden sie u.a. von Patriarch Kyrill vor dem UN-Menschenrechtsrat:

    -------------------- schnipp --------------------
    Ich würde Sie gerne daran erinnern, daß die UN Richtlinien unter anderem auf der Grundannahme von 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einer beschränkten Auswahl, um “den gerechten Anforderungen der Moral zu genügen” basieren.
    -------------------- schnapp --------------------

    Diese Beschränkung der Rechte und Freiheiten gehört zu den Wesensmerkmale der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wo dieses Wesensmerkmal unter den Tisch fällt wird, kann man nicht mehr von einer Ausprägung der allgemeinen Menschenrechten sprechen.

    http://antifo.wordpress.com/2009/03/15/rede-des-moskauer-patriarchen-vor-dem-un-menschenrechtsrat/

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  4. Am Rande bemerkt: In der WP findet man durchaus Informationen über christliche Märtyrer. Es gibt sogar mehrere eigene Kategorien, die denen im Commune des Meß- und des Stundenbuches entsprechen.

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  5. Wer ist Mutti? Du meinst doch nicht etwas Erika?

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  6. Wow!!! Großer Kommentar! Danke Dir.

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  7. Dass Mutti, geschweige denn Grüne PolitikerInnen mit der Beurteilung dieses Falles völlig überfordert sind, kann nicht wirklich überraschen.
    Dass die Mädels hierzulande ebenfalls Knast bekämen, wage ich denn doch zu bezweifeln.
    Klasse-Beitrag. Danke!

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  8. @ Arminius
    Mutti ist die Mutti der Nation, ihr Vornamen erinnert an "Engelsche".

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  9. Sehr interessanter Beitrag. Hat mich dazu veranlasst, ebenfalls etwas zu dem Thema zu schreiben - hier:

    http://mightymightykingbear.blogspot.de/2012/08/famoses-land-dieses-sibirien-und.html

    Grüße
    KingBear

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  10. Nachdem die Straftat von P.R. in Moskau von allen im Bundestag vertretenen Parteien beschönigt wurde, wurde heute auch ein Gottesdienst im Kölner Dom gestört:

    http://antifo.wordpress.com/2012/08/19/die-globale-katastrophe-nimmt-ihren-lauf/

    Dabei hat sich Weihbischof Heiner Koch erpressen lassen. Wie will er eine Strafverfolgung der drei Störer begründen, wenn er die Legitimität des Urteils des Moskauer Gerichts in Zweifel gezogen hat? Er macht den sakralen Raum damit zur Bühne für religionsfeindliche Anliegen jeder Art.

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    1. @antifo: So habe ich den Umstand, dass der Weihbischof die Störer und ihr "Anliegen" in sein Gebet eingeschlossen hat, eigentlich nicht aufgefasst. Habe das eher als praktische Anwendung von Mt 5,44 betrachtet und fand es ähnlich sympathisch wie den Aufruf der Russisch-Orthodoxen Kirche zu Milde bzw. Gnade für "Pussy Riot". Sehe ich das zu gutwillig?

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  11. @KingBear

    "Sehe ich das zu gutwillig?"

    Eindeutig ja.

    Die kirchliche Forderung nach einem Gnadenakt setzt ein weltliches Urteil voraus, weil Angeklagte vor einer Urteilsverkündigung als unschuldig zu gelten haben.

    Als Christus die Ehebrecherin vor der Steinigung rettete (Joh. 8, 1-11) hat er die Rechtmäßigkeit des Urteil inhaltlich bestätigt und ihr geboten nicht mehr zu sündigen. Für Christus war eine Vergebung der Sünden ohne Buße nicht vorstellbar. Bevor Christus zur Vergebung unserer Sünden starb, gab es die Bußpredigten des Täufers.

    Bei Mt 5,44 blendest Du das Königtum Christi aus. Die Kirche hat natürlich auch einen Herrschaftsanspruch: 2. Korinther 10,4-5

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