Samstag, 12. Januar 2013

Erinnerung an die Zukunft: Ökumene statt Ökumiste 1861

Ernst Ludwig von Gerlach 1795 - 1877
Wenn Kirchenfürsten in Deutschland über Ökumene reden, vor allem das unsägliche protestantische Paar Nikolaus Schneider und Margot Käßmann, frage ich mich, ob es denn nicht anders ginge. Durch Zufall - oder im Kontext meiner stets intensiven Beschäftigung mit meiner Heimatregion Noaddeutschland - stieß ich da auf die Texte eines höchst politisch und allerhöchst christlich gesinnten Herrn aus dem 19. Jahrhundert: Ja, es geht auch anders. Nach vorne, nicht nach hinten:

1860 trafen sich in Erfurt prominente evangelische und katholische Christen zur wohl ersten ökumenischen Konferenz auf deutschem Boden. Das Treffen war nicht gerade ein Erfolg. Von offizieller Seite wurde das Bemühen um ein Bündnis zum Teil scharf kritisiert, auch Teile der Conservativen Partei, die auf dem Treffen prominent vertreten war, setzten sich von der Konferenz ab. Die wichtigste und einflußreichste Persönlichkeit der Conservativen Partei Preußens aber, Ernst Ludwig von Gerlach, verteidigte das Treffen.

Von Gerlachs Plädoyer für  eine evangelisch-katholische Zusammenarbeit sollte sich als geradezu prophetisch erweisen. Ein Jahrzehnt später zettelten der conservative Dissident von Bismarck und die liberale Mehrheit des preußischen und deutschen Parlaments den Kulturkampf an, der die katholische Kirche schwer traf, mit Folgen  für die Katholiken, die bis heute die Kirche in Deutschland schwer belasten.

Aber auch die Evangelischen verloren im Kulturkampf Einfluß und Selbständigkeit. Die mangelnde Einigkeit rächte sich. Es gelang Bismarck, der sich aus machtpolitischem Kalkül auf die Seite der prinzipiell kirchenfeindlichen im Kern jakobinischen "Altliberalen" geschlagen hatte, liberale Katholiken und conservative Katholiken, liberale Protestanten und conservative Protestanten gegeneinander auszuspielen. Beide Konfessionen verloren. Der Mitbegründer der Conservativen und ihr mit Abstand wichtigster Mann, Ernst Ludwig von Gerlach, geriet in die völlige politische Isolation. Aus Protest gegen die Eroberungs-Politik Preußens, gegen das, wie er es in Verketzerung des preußischen Staatsmottos nannte "suum cuique rapit", gegen die Sprengung des Bündnisses zwischen Österreich und Preußen, gegen den deutsch-deutschen, aber auch den deutsch französischen Krieg, in Opposition gegen den Kulturkampf des Dr. Virchow und des Reichskanzlers von Bismarck trat von Gerlach schließlich 1873 aus der Conservativen Partei aus und schloß sich der Zentrumsfraktion an.

Der deutsche Conservativismus, der in der Folge nationalistisch, schließlich gar antisemitisch degenerierte, starb 1873. Von Gerlachs politische Voraussagen trafen ein. Die deutsche Geschichte nahm den bekannten katatrophalen Verlauf.

Was von Gerlach über das Klima eines interkonfessionellen Gespräch sagte, halte ich für noch immer zukunftsweisend, und für noch immer unverstanden. Von Gerlach hätte niemals einer "Ökumene der Profile" das Wort geredet, ebensowenig der Ökumene der Indifferenz, der zeitgeistigen Gleichmacherei, des kleinsten gemeinsamen Nenners. Die Ökumene von Gerlachs war eine der heißen Herzen, keine des lauen Gewäschs:
Der Verfasser dieses Aufsatz sagt kein Wort gegen Kontroversen und Bekehrungseifer. Brennte die Bruderliebe erst heller und schärfer auf beiden Seiten, gerade dann würde wir mehr hören und sehen als jetzt von gutem Eifer auf beiden Seiten. nicht der Eifer um das Haus Gottes, der nach Joh. 2,17 den Herrn selbst gefressen hat, nicht der heiße Trieb, Seelen zu gewinnen, zerreißt die Kirche, sondern die kalte, tote Gleichgültigkeit, das leere, laue Nebeneinander-Existieren ohne Glauben und ohne Liebe. Indifferenz, nicht Intoleranz, - Lauheit, die der Herr ausspeit aus seinem Munde, - das sind die Krankheiten, an denen die Zeit und matt und krank ist, und an denen diesseits und jenseits die Kirche Gottes darnieder liegt.
Von Gerlach bezeichnete seine eigene religiöse Orientierung als "evangelische Katholizität", was aufwendig zu erklären wäre. Aber wer einen Blick auf und in die von von Gerlachs verehrten und geliebten König Friedrich Wilhelm des IV erbaute Friedenskirche wirft, kann einen spontanen Eindruck gewinnen.

Das Zerwürfnis zwischen von Gerlach und seinem einstigen Schüler von Bismarck war ein Jahrzehnt später fundamental. Eine Rede, in der von Gerlach die Rechts-, Staats-  und Kirchenpolitik des nunmehr "altliberal" gewandelten von Bismarck kritisierte, führte zu einem Strafverfahren und zur Entlassung des  auch von seinen Fachkollegen hochverehrten Richters und Präsidenten des Oberlandesgerichts in Magdeburg. In dieser Rede kritisierte von Gerlach die als Instrument des Kirchenkampfes eingeführte Civilehe.

Es lohnt sich die Rede durchzulesen. Man kann aus dieser Rede vieles lernen. Über das Verhältnis von Staat und Kirche (den "Laizisten" ins Stammbuch). Über das Verhältnis von Bismarck und Gerlach. (den Bismarck-Verehrern ins Stammbuch) Über "altliberale" Verlogenheit. (Den *piep*liberalen ins Stammbuch) Über conservativen Opportunismus und etatistische Verblendung. (den heutigen "Christdemokratien" ins Stammbuch) Über Raubpolitik (von Gerlach vergleicht Wilhelm den I. mit dem italienischen "Raubkönig" Victor Emmanuel, von Bismarck mit Cavour und Garibaldi) (den ochlokratischen Nationalisten ins Stammbuch).

1874, als diese Rede gehalten wurde, war der Kirchenstaat gefallen, der Kulturkampf war in vollem Gange. Die Conservativen Preußens - obwohl vorwiegend evangelisch - hatten vor 1870 um der Freiheit der Kirche willen die Existenz des Kirchenstaats politisch verteidigt. Nun verteidigte der letzte versprengte Conservative, die Religionsfreiheit der preußischen und deutschen Christen, nicht etwa nur der Katholiken.

Die Auseinandersetzung unserer Tage ist wieder einmal eine um die Einheit der Christen, wieder einmal um die Verteidigung der Familie, wieder einmal um die Freiheit der Religion. (Auch) auf diesem Hintergrund ist die Gestalt des Politikers von Gerlach geradezu atemberaubend aktuell.
Um es zum Schluß noch einmal klar zu sagen, was gerade den Politiker Gerlach für uns heute zu einer so atemberaubend aktuellen Gestalt werden läßt, das ist sein einsames Frondieren gegen Führertum und totalen Staat ("Staatsomnipotenz") um der konservativen Rechtsstaatsidee willen. Am 20. Januar 1873 hat Gerlach im Abgeordnetenhaus in die Kulturkampfdebatte eingegriffen und erklärt: "Die Staatsomnipotenz ist ein Leugnen Gottes, also auch des Eides. Damit fällt der Zeugeneid, der Fahneneid, der Amtseid, der Krönungseid." Der stenographische Bericht verzeichnet stürmische Heiterkeit. - Uns ist wahrhaft das Lachen vergangen, eher werden uns die Tränen kommen." (Hans Joachim Schoeps, Das andere Preußen, Berlin 1974, S. 92)

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank, das sind sehr wichtige Informationen, damit wird einiges klarer.

    Gruss

    Templarii - recognoscere.wordpress.com

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