Freitag, 30. März 2012

Sankt Winnetou


Zwischen meinem 8. oder vielleicht 9. Lebensjahr und meinem zwanzigsten spielte sich mein Leben gewissermaßen zwischen den grünen und blauen Bänden ab. Also zwischen Karl Mays gesammelten Werken und Karl Marx/Friedrich Engels MEW. Von beiden Werken habe ich bestimmt jeden Band gelesen. Karl May fand ich allerdings spannender, und als ich später die Machwerke der vermaledeiten May-Kritiker las, insbesondere Arno Schmidts "Sitara" war ich echt empört.

Arno Schmidt hat sich in einer eher seltsamen Weise mit May befasst, und seine profunde Kenntnis des Maischen Gesamtwerks zeigt zumindest, daß er aber auch wirklich jede Seite von Karl Mays 34 Bänden sogenannter Trivialliteratur gelesen hatte.

Wir Jungs waren jedenfalls alle entweder Cowboy oder Indianer, natürlich waren wir alle Blutsbrüder wie Winnetou und Old Shatterhand, und ich hätte so gerne bei unseren Kinderspielen Winnetou gespielt, wäre ich nicht von allen Kindern das bestimmt bleichgesichtigste aller  Bleichgesichter gewesen.

Später - zur Zeit der blauen Bände - haben wir dann die bösen Bleichgesichter in Gestalt des US-Imperialismus bekämpft, Doch, echt. Erinnere mich noch gut an eine Rede die der Philosoph Ernst Bloch bei irgendeinem Anti-Vietnam-Kriegs-Kongreß geredet hat und den Satz : "Diese Indianer (gemeint waren die Vietnamesen) lassen sich nicht so zünftig abschlachten". Könnte von Karl May sein, der Satz, und in der Tat war Ernst Bloch ein begeisterter Karl-May-Verehrer.

Doch die Vorstellung vom edlen Wilden Winnetou war genauso falsch und ideologisch verblendet wie unser Kinderglauben an den edlen Vietnamesen und die bösen Cowboys. In Wirklichkeit bereiteten wir einer kommunistischen Diktatur den Weg, und alsbald nach dem Sieg unserer Edlen flüchteten hunderttausende boat-people.

Hat nicht auch Rousseaus lebensfremde Theorie vom guten Wilden den Weg für den Terreur der Jakobiner bereitet? War Karl May geistiger Wegbereiter der 68er? Vielleicht nicht, aber die Akteure hatten zumindest ebenso viel Karl May, wie Karl Marx gelesen.

Winnetou aber bekannte sich sterbend zu Jesus Christus.
Ich gehe heute dorthin, wohin der Sohn des großen Manitou uns vorgegangen ist, um die Wohnung im Hause seines Vaters zu bereiten. (Winnetou III, Bamberg 1951, S. 426)
Konnte mich nicht daran erinnern, bis ich es heute in der Zeitung las. Vielleicht hätte wir unseren Karl May doch besser lesen sollen. Der gute Wilde war vielmehr eine guter Christ.

Fast hätt ichs vergessen: heute jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag Karl Mays.

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