Morgen werden wieder einmal die Uhren auf "Sommerzeit" umgestellt. Eine Stunde früher aufstehen. Für manchen eine Tortur. Für Frühaufsteher wie mich eher nicht. Aber - warum lassen wir es eigentlich zu, daß die Regierung - genau genommen ist es heute die Eurokratie - uns vorschreibt, wie viel Uhr es jetzt ist?
Ist das selbstverständlich? Nein. Denn bis in das 19. Jahrhundert hinein bestimmten Sonne, Mond und Sterne Jahreszeiten und Tageszeiten. Die Uhren und Kalender richteten sich nach der Großen Uhr des Schöpfers, und auch wenn es schon seit dem Hochmittelalter mechanische Uhren gab, so war noch bis zur Einführung der "Eisenbahnzeit" (so heißt das wirklich) üblich, daß 12 Uhr mittags der Zeitpunkt war, zu dem die Sonne am jeweiligen Ort im Zenit stand. Ortszeit nennt man diese Form der Zeitmessung.
Mit der Erfindung immer schnellerer Verkehrsmittel, der Erfindung der Bahn zunächst, wurde diese Art der Zeitmessung unpraktikabel. Die Fahrgäste die in einem schnellen, sich in Ost-Westrichtung bewegenden Verkehrsmittel saßen, verloren oder gewannen scheinbar Zeit, mit wachsender Reisegeschwindigkeit war dieser scheinbare Zeitverlust oder Zeitgewinn fühlbar. Die Beibehaltung der Ortszeit hätte Fahrpläne unmöglich gemacht. Man führte daher Zeitzonen ein. Zunächst nur für die Eisenbahnverwaltungen und parallel zur Ortszeit, schließlich generell.
"Unsere" MEZ-mitteleuopäische Zeit hieß übrigens ursprünglich mitteleuropäische Eisenbahnzeit.
Kann man eigentlich die Beherrschung der Menschen durch die Technik anschaulicher machen? Nun ist es ja einem Blecheimer auf Rädern ziemlich egal, ob Mittag auch wirklich Mittag ist, oder nur halb Mittag oder viertel Mittag, oder halb nach Mittag. Wir aber sind lebendige Wesen aus Fleisch und Blut und unser Biorhytmus wird, wie wir heute wissen, durch die Sonne gesteuert, auch durch den nächsten Himmelskörper, den Mond. Für ein lebendiges Wesen ist es keineswegs gleich, ob Mittag nun Mittag ist, oder Nachmittag oder Vormittag.
Dem Heiligen Benedikt, der in seiner Regel vorschrieb zu welchen Zeiten - es waren noch keine "Uhrzeiten" - die Stundengebete zu singen war, orientierte sich noch immer, wie alle Menschen seiner Zeit, an der Stundeneinteilung, die wir aus der Bibel kennen. Der Tag wurde, ebenso wie die Nacht in zwölf gleiche Teile geteilt. Um zwölf Uhr nachts, der Zeit des Sonnenaufgangs, endete die Laudes, sie fand also "in aurora" statt. Die Prim endete zur ersten Stunde des hellen Tages, wurde also "in ortus" gebetet. Es folgten die drei kleinen Horen, Terz, Sext, und Non sodann die Vesper, die nicht um "sechs Uhr" begann, wie heute, sondern vielmehr mit der zwölften Stunde endete, also "in occasum" gebetet wurde. Die letzte Stunde, die Komplet, die in der Abenddämmerung nach Sonnenuntergang gebetet wurde, "in crepusulum", war damit komplementär zur Prim.
Grundsätzlich, folgte man dem Programm, das die Psalmen vorgeben, wäre dann die Matutin zur Mitternacht zu beten, Benedikt, der sich um den gesunden Schlaf seiner Mönche sorgte, setzte die Matutin auf die achte Stunde der Nacht fest. Je nach Jahreszeit, im Sommer fand die Matutin kurz vor der Laudes statt. Nicht nur man, sondern auch mönch braucht ja seinen Schlaf.
Ein durch und durch menschenfreundliches Programm, berücksichtigt es doch, daß wir Mittags hungrig und um Mitternacht meist eingeschlafen sind, daß wir als Naturwesen bei Sonnenaufgang wach und bei Sonnenuntergang schläfrig werden.
Die Eisenbahnzeit mißt die Stunden des Tages hingegen nicht nach den Bedürfnissen der Menschen, sondern der Maschinen, und die Sommerzeit, die dazu führt, daß "Mittag" im extremsten Fall fast zwei Stunden vor dem realen Mittag beginnt, ist nun endgültig ein bürokratisches Monstrum.
Ursprünglich maßen die Mönche die Zeit wohl nach Sonnenuhren, aber schon während des Mittelalters konstruierten die Uhrmacher Großuhren, die nicht nur in der Lage waren, die gleichen Stunden, sondern auch die ungleichen "temporalen" Stunden zu messen, dazu die Bewegung der Sonne im Jahreszyklus der Sternzeichen, die Position und die Phasen des Mondes, die Positionen der Planeten, die Länge des Tages. Verglichen mit diesen "Himmelsmaschinen", die den Blick der Menschen auf den Himmel richteten, sind unsere heutigen Uhren, so präzise und diffizil sie auch sein mögen, primitive Apparate, die nur die Maschinen- und Bürokratenzeit zeigen.
Die astronomischen Uhren des Hohen Mittelalters maßen gewissermaßen die katholische Zeit. Der Bildersturm der Reformation richtete sich auch gegen diese Uhren. Das Himmelszeitalter endete mit der Zerstörung der klugen Maschinen und ihrer Ersetzung durch die dummen Maschinen. Mit den "dummen" Uhren, die die Zeit in gleichförmige Stunden zerhackten, begann das Maschinenzeitalter.
Warum holen wir diese dummen Maschinen nicht von unseren Kirchtürmen?
P.S,
Die Stundengebete zur "richtigen" Zeit zu beten, wird heute als Zumutung empfunden. Das Zweite Vaticanum hat denn auch die Prim abgeschafft, daß diese Hore in der Zeitsymmetrie des Tages unverzichtbar ist, wurde vergessen, die Matutin wurde aus "humanitären" Gründen gleich ganz abgeschafft. Wenn bei den Bischöfen auch nur ein einziger Uhrmacher gesessen hätte, der sich mit astronomischen Uhren auskennt, wäre es wohl so beschlossen worden?
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