Dienstag, 30. Juli 2013

Kapitalismus, Sozialismus, Katholizismus und Erdbeeren.


Was haben Erdbeeren mit der, wie Chesterton wohl sagen würden proletarianischen Verfassung unserer Gesellschaft zu tun? Eine ganze Menge, würde ich sagen.

Zunächst einmal zu den olfaktorischen und gustatorischen Fakten; wer auf dem Wochenmarkt, im Supermarkt oder auch beim Spargel- und Erdbeerhändler Erdbeeren kauft, wird - jedenfalls dann, wenn er sich an den Geschmack der Erdbeeren aus Großmutter Garten erinnert - nur noch leise Erinnerungen an Erdbeere schmecken. Geruchslos und geschmacklos kommen sie daher, unsere Erdbeerdarsteller. Sie sind groß, rund und relativ billig. Im Frühjahr stammen sie aus Italien und Spanien, sie haben also ein lange Reise hinter sich, und sie schmecken auch danach. Was da noch an Restaroma auf dem Feld vorhanden gewesen sein mag, ist auf der langen Reise längst verloren gegangen.

Wer aber sich ein paar Wochen später auf die Herkunftsbeschreibung "Erbeeren aus der Region" verläßt, wird ebenso enttäuscht werden. Überall werden in Europa die selben Sorten hergestellt. Sie haben vor allem folgende Eigenschaften: hoher Ertrag, lange Haltbarkeit, Härte und Transportfähigkeit. Ideal für eine Gesellschaft, wo die meisten Menschen ihre Brötchen als Angestellte oder Beamte verdienen, in Mietskasernen wohnen, oder, wenn sie schon ein Haus mit Garten besitzen, keine Zeit mehr haben, in ihrem Garten etwa Gartenfrüchte anzubauen.

Wir mühen uns gerade darum, den Pfarrgarten unsere Gemeinde wieder in einen Garten zurückzuverwandeln, wie er wohl irgendwann mal ausgesehen haben muß. Es gab wohl Blumen, ein alter Kirschbaum steht noch, ein paar Johannisbeeren und ein Apfelbaum. sowie ein prachtvoller Holunder. Irgendwann einmal wurde die pflegeintensive Bepflanzung beseitigt, und durch die "Flora" ersetzt, die wir als pflegeleichte Bepflanzung von Friedhöfen und Parkanlagen kennen: Kirschlorbeer, Cotoneaster, Eibe, Weißdorn.

Und noch eine Phase später holte sich die Natur den Garten zurück; wilde Kirschen haben sich ausgebreitet und ein ganzes Wäldchen gebildet, Brombeeren wuchern überall, Efeu erstickt alles, was noch an Gartenpflanzen vorhanden war.

Auch die Gärten rings um den Pfarrgarten sehen - von der Verwilderung abgesehen - nicht anders aus. Die meisten folgen dem TTG-Gestaltungsprinzip: Thuja, Tennisrasen, Gartengrill.

Zurück zu den Erdbeeren: Ich kann mir nicht vorstellen, daß meine Tante, eine Bäurin von echtem Schrot und Korn, deren gewaltige Süßkirschenbäume ich als Kind mit selbstkonstruierten Höllenmaschinen geschützt habe, ein Gewächs wie die "Elsanta" angebaut hätte. Meines Wissens wars die Senga Sengana. Wohlschmeckend, wenn auch nicht zu, relativ kleine Beeren, die ideale Sorte für den Wochenmarkt mit regionalen Früchten, heute völlig aus der Mode. Aber die kann man nicht grün pflücken, und hunderte Kilometer zum nächsten Supermarkt schicken, wo sie blaßrosa und garantiert geschmacksfrei dem frustrierten Konsumenten angeboten werden.

Welche Erdbeeren hat wohl Gilbert Keith Chesterton gegessen? Ich weiß es nicht, aber es wird wahrscheinlich ein Gewächs gewesen sein, daß der deutschen "Königin Luise" oder vielleicht der "Frau Mieze Schindler" entsprochen hat. Sehr aromatisch, nicht einfach anzubauen, aber geschmacklich unerreicht. Völlig ungeeignet zum Zweck der kapitalistischen Ausbeutung, weil sich die Früchte dieser Erdbeeren innerhalb eines Tages - fast schon auf dem Weg vom Beet zum Müsli - in Erdbeermatsch verwandeln.

Völlig geeignet aber für die Darstellung der Vorzüge der Gesellschaft, für die die katholischen Politiker Chesterbelloc gekämpft haben - eine Gesellschaft der kleinen Eigentümer, die zunächst für sich selbst, für ihre unmittelbare Umgebung, oder für die nächste Stadt produzieren.  "Small ist beautiful" ist der für meinen Geschmack sehr mißverständliche Titel des berühmten Buches von E.F.Schumacher. Chesterton hätte bestimmt was Besseres gefunden. Und er hätte in E.F.Schumacher einen Geistesverwandten erkannt, der sich - mit Recht - auf Leo des XIIIten berühmte Enzyklika rerum novarum berufen durfte. Small ist nicht nur beautiful. Sondern eben auch effizient, oder, um zur Erdbeerfrage zurückzukommen, aromatisch.

Über die Entwicklung der Erdbeersorten hier ein interessanter Film des BR, über die "Königin Luise".

Welche Sorte wir im Pfarrgarten pflanzen werden? Elsanta wird es nicht sein. Zumal sich einige Erdbeerzüchter mittlerweile zur "Elsanta-freien Zone" erklärt haben. Bestimmt eine Erdbeere, die Gilbert Keith Chesterton goutiert hätte. Mieze Schindler ist wieder zu haben, ebenso wie Königin Luise, interessanterweise deshalb, weil sich die beiden Sorten in der sozialistischen DDR in den kleinen Exklaven "bürgerlicher" Privatheit erhalten haben.


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