|
Pilgerin, Messe der Piusbruderschaft 6. Mai 2012, Trier |
Es ist nicht so, daß ich mich inzwischen zum Dauerwallfahrer entwickelt habe, aber aus Gründen, die ich ein andermal und auch nur vielleicht berichten werde, war ich am 6. Mai 2012 noch einmal in Trier. Noch einmal Alte Messe, noch einmal 3 Stunden anstehen, um den Heiligen Rock nur zu sehen, nur das Glas zu berühren, hinter dem der Rock ausgestellt ist. Das muß genügen. Mehr war im übrigen für die meisten Wallfahrer aller Jahrhunderte auch nicht drin.
Die Gregorianische Messe am 6. Mai richtet die Piusbruderschaft aus. Auch wenn die veranstaltende
Diözese die Bruderschaft noch immer mit spitzen Fingern anfasst, und man sich selbstverfreilich beeilt zu betonen, daß die vollständige Wiedereingliederung noch nicht erreicht sei, wird auch die Piusbruderschaft in Trier willkommen geheißen. Die Messe findet - wie auch die gregorianische Messe mit Kardinal Brandmüller am 21. April - in St. Maximin statt. Die ehemalige Abteikirche dient heute als Turnhalle. Was nicht bedeutet, daß wir uns hier nicht an einem heiligen Ort befinden. St. Maximin ist, wie manch andere Kirche, wie der Petersdom selbst, auf einem antiken Gräberfeld errichtet, mit um tausend Gräbern. Eines dieser Gräber beherbergt den Bischof Agritius, der für die Überführung des Heiligen Rocks und die Reliquien des Heiligen Matthias gesorgt hatte. Ein zentraler Ort für Trier also, und nicht etwa ein Ort, an den man die Anhänger der Alten Messe "verbannt" hatte.
Außerdem gibt es wenige Versammlungsgebäude in Trier, die, wie heute, 2.500 Menschen aufnehmen können. So viele sind erschienen, offenbar nicht nur Mitglieder der Gemeinden der Piusbruderschaften, einige treffe ich wieder, die ich auch vor 15 Tagen getroffen haben.
Die Bruderschaft hat den Raum mit rot-goldenen Wandbehängen, Statuen, einem monumentalen Altar, vielen Kerzen und Blumen zu einem beeindruckenden Kirchenraum umgestaltet. Katholische Prachtentfaltung eben, wie auch das levitierte Hochamt, daß in diesem Raum zelebriert wird, die katholische Messe in ihrer ganzen liturgischen Pracht erstrahlen läßt. Bei der Wandlung schlägt eine Glocke. Ich wundere mich. Dieses Gebäude ist wirklich eine Heilige Turnhalle, ohne Orgel, Glocke oder irgendeine andere gottesdienstliche Ausstattung. Beim Hinausgehen entdecke ich einen fahrbaren Glockenstuhl, auch die Glocke hat die Bruderschaft mitgebracht. Unwillkürlich suche ich nach dem Giga-Sattelschlepper, mit dem die Brüder ihre Faltkathedrale transportiert haben, und finde nichts. Ein Wunder, offenkundig.
Wie auch bei dem Gottesdienst der Ecclesia-Dei-Gemeinschaften fällt auf, daß eine ungewöhnlich hohe Zahl von jungen Priester und Seminaristen anwesend ist. Anders als vor fünfzehn Tagen sind auch zahlreiche Nonnen und Mönche aus diversen Orden anwesend. Mir fällt die ungewöhnlich hohe Zahl von jungen Frauen auf, die "exzentrisch" gekleidet sind, also mit züchtigem wadenlangem Rock, mit langen Haaren, ungeschminkt und unaufgebrezelt, überhaupt ist dies eine junge Versammlung, junge Priester, junge Ordensangehörige, viele junge Menschen, kinderreiche Familien. Katholisches Leben, wie es noch vor vierzig, fünfzig Jahren ganz alltäglich war.
Auch die Alte Messe ist für diese Versammlung offenbar ganz alltäglich. Die Gesänge des Ordinariums singt hier keiner vom Blatt, auch wenn die besonders feierliche Gesangsweise der Osterzeit nicht ganz unkompliziert ist. Jeder weiß, was zu tun ist, beim "descendit de caelis" des Credo fallen alle auf die Knie, man erhebt sich, kniet wieder, erhebt sich, bekreuzigt sich, verneigt sich. Diese Versammlung ist eines Geistes. Faith is in the air. In Chor und Schola singen viele junge Stimmen, offenbar stellt das Seminar der Bruderschaft die Schola, die Mädchengymnasien den Chor. Ich bin gerührt. Ein Indianer weint nicht. Manchmal aber verquetscht er ein paar Tränen, die keiner sieht.
Die
Predigt handelt von einem Thema, daß die Offiziellen der Wallfahrt peinlichst vermeiden. Es geht um die Echtheit der Tunika. Es geht um die Verehrung einer der bedeutendsten Reliquien der Christenheit. Der Prediger hält sich dabei nicht mit den durchaus interessanten Erkenntnissen der Archäologie und der Textilforschung auf. Sein Argument für die Echtheit des Heiligen Rocks ist beschämend schlicht. Insbesondere bei den großen Wallfahrten im Jahre 1891 und 1933 seien zahlreiche Wunderheilungen dokumentiert worden. Für diese Heilungen gebe es ärztliche Gutachten, 1891 seien elf medizinisch und wissenschaftlich nicht erklärbare Heilungen dokumentiert, 1933 sogar 40. Man habe sie nicht weniger sorgfältig untersucht, als die von der Kirche anerkannten Heilungen in Lourdes. Dies spreche unwiderlegbar für die Authentizität der Reliquie.
Der
Ökumenereferent des Bistums sieht dies offenbar ganz anders:
Insbesondere den seitens evangelischer Christen wiederholt geäußerten Vorwurf der "Reliquienverehrung" gelte es zu entkräften. "Die Kirche von Trier verzichtet radikal auf die Frage der Echtheit. Sie betont den Symbolcharakter des Heiligen Rocks",
Rrrrrrrradikal. Als ehemaliger Radikalinski zucke ich bei diesem Wort noch immer zusammen. Soviel zum Selbstbild der offiziellen Kirche. Es dominiert offenkundig in der Öffentlichkeit. Der theologische Eiertanz wird da nicht nur von den "Ökumenereferenten" geübt, sondern offenbar auch von einfachen Priestern:
Pater Johannes predigt: "Man kann den Heiligen Rock mit den Augen eines Skeptikers betrachten. Ist er echt? Wissenschaftlich beweisbar?" Er macht eine kunstvolle Pause und fährt fort: "Aber geht es wirklich um diese Fragen?" Kunstpause. "Nein, es geht um eine Begegnung mit Jesus. Er trägt das Kleid meines Lebens, der Kirche. Das Kleid der Armen. Tunika Christi!
Michel
Friedmann berichtet das, und scheint sich doch ein wenig zu wundern. Ja so ist das, der moderne Katholik wallfahrtet nicht nach Trier, um eine heiligste Reliquie zu verehren, um einen Ablaß zu erwerben, oder gar, weil er auf ein Wunder, auf Heilung hofft, sondern um "mit den Füßen zu beten". Dies ist die banale Formel, auf die sich offenkundig die Ökumenereferenten aller Konfessionen geeinigt haben. Ich kann das nicht abstellen, ich stelle mir bei diesem dummdeutschen Satz eine ziemlich komische Sportübung vor, die vor allem ältere Menschen wohl vor unüberwindliche Probleme stellen dürfte.
Nach zwei Stunden ist die Messe zu Ende. Mittagszeit. Wieder steht ein junger Priester am Mikrophon und ruft zum Mittagsgebet: "Vater segne Diese Gaben, Amen, Amen". Ein Kinderlied? Ja, dies ist Volkskirche, so unverkrampft katholisch, wie ich es in meiner Kindheit erlebt habe, als meine katholischen Mitschüler noch Heiligenbildchen tauschten, noch zur Beichte gingen, noch ihren Namenstag feierten, brav jeden Sonntag zur Kirche gingen, als der Herr Pfarrer und der Herr Kaplan noch Soutanen trugen.
Wieder im strömenden Regen beginnt die Wallfahrt, Vorneweg Priester und Ordensangehörige, dann der ganze Stolz der deutschen Piusbruderschaft, die Schülerinnen des Sankt Theresen-Gymnasiums. 2.500 Menschen auf dem Weg zur Tunika Christi, viele Priester in Chorhemd und Soutane, Ordensleute im Habit, Fahnen, eine Blaskapelle, singende und betende Menschen, junge Frauen in Schuluniform. In der Kathedrale soll eigentlich eine von der Bruderschaft gestaltete Andacht stattfinden, aber als ich ankomme, hat die Kapelle schon ihre Instrumente eingepackt, obwohl noch viele hunderte ankommen.
Die Mikrophonbesitzer halten eine der beliebten Themenmeditationen. Pädagogisch wertvoll, geistlich hohl, irgendwas mit Feuer. Abgeschlossen wird die Meditation mit einem zum Thema passenden Liedlein aus dem NGL-Repertoire zum Mitschnippsen: "Wenn wir das Leben teilen, wie das täglich Brot" - "Jesus Christ, Feuer, das die Nacht erhält."
Dammdadadammdammdadadammdammdadadaaaaaaaahh!!
Nach fünf Stunden Gregorianik und klassischem katholischen Liedgut wirkt das wie eine kalte Dusche. Ich bestreike das Neue Geistliche Liedgut ja gewohnheitsmäßig durch Nicht-Mitsingen und ernte von meiner Herzallerliebsten missbilligende Blicke. Heute aber bin ich nicht der einzige, es breitet sich eisiges Schweigen in der Kirche aus. Niemand singt mit. Daß man auch anders katholisch sein kann, als es die offizielle Pilgerbroschüre vorsieht, ist bei den Organisatoren offenbar nicht angekommen.
Ich bin da. Mir bleiben jetzt fünf Sekunden (Michel Friedmann hat das so ausgerechnet). Ich drücke meinen Rosenkranz an die Glasplatte und sehe wie kleine Kinder ihre Hand auf das Glas legen. Pilger haben sich das offizielle Andachtsbild besorgt und berühren mit den Bildern das Glas. Es ist, wie es immer war, beim Heiligen Rock. Und die klugen Literaten, die gebildeten Theologen, die berühmten Schriftsteller, die witzigen Satiriker, sie rümpfen die Nase. Auch das war zwar nicht
schon immer so, aber doch schon sehr lange.
Das Pilgerheft der Bruderschaft enthält zu meiner Freude auch einen kleinen katholischen Fremdenführer über die vielen heiligen Stätten der Stadt. Zu meiner besonderen Freude entdecke ich, daß das Grab des hochverehrten Friedrich Spee zu Langenfeld sich in der Jesuitenkirche befindet. Der Autor der "Cautio criminalis", der neben Johannes Scheffler begnadetste katholische Hymnendichter des Barock, einer der größten Prediger und geistlichen Poeten vor dem Herrn. Da muß ich hin.
Auf dem Weg begegne ich wieder der offiziellen Kirche. Vor der Konstantinsbasilika steht eine sechs Meter hohe Plastik aus rostfreiem Lochblech in der Form einer Tunika. Das Trumm soll die Stadt auch noch nach dem Ende der Wallfahrt verschönern. Für ein paar Euro kann man sich eine kleine Blechtunika kaufen, die dann von einem Angehörigen der Arbeiterklasse ans Lochblech geschweißt wird. Mit dem Erlös soll eine Arbeitsloseninitiative gefördert werden. Auf dem Platz steht eine Rednerin, die die versammelten Pilger beschallt. Ich höre etwas von Ordnungspolitik, Kritik an der ausufernden Zeitarbeit, kämpferische Töne. So muß es beim ersten Mai auf der Gewerkschaftskundgebung gewesen sein.
Ich gehe schnell weiter, finde die kleine Straße, die zum Priesterseminar und zur Jesuitenkirche führt und stehe vor dem Grab Friedrich Speees. Der Fußboden ist durchbrochen, es scheint fast so, als könnte man hinunterrufen. Auf dem Grab liegen Blumen. Ich schlage vor, die linke Faust gen Himmel zu recken und hinunterzurufen: "Friedrich! Der Kampf geht weiter!" Ich lasse mich von einem Augenrollen überzeugen, daß das gefälligst zu unterbleiben hat. Ich bleibe noch etwas und freue mich, hier zu sein.