Sonntag, 15. April 2012

Frauen und Kinder zuerst


Heute vor hundert Jahren sank die Titanic, mehr als 1.500 Menschen starben bei diesem Unglück. Es gab Schiffsunglücke, bei denen mehr Menschen starben, doch eigenartigerweise gilt der Untergang der Titanic fast schon als Synonym der Schiffskatastrophe.

Warum das so war, ist schwer zu erklären.

War es die fast unglaubliche Verkettung unglücklicher Umstände, daß trotz der modernen Ausstattung des Schiffes mit modernen Kommunikationsmitteln die Warnung vor Eisbergen unbeachtet blieb, daß der Kapitän nicht die Geschwindigkeit drosseln ließ, obwohl er wissen konnte, daß er damit das Schiff, die Passagiere und die Besatzung einer großen Gefahr aussetzte, daß ausgerechnet das einzige Schiff, das nah genug war, um die Menschen der sinkenden Titanic zu retten, die Maschinen gestoppt hatte und daß der Funker auf diesem Schiff schlief? Daß keine Alarmanlagen vorhanden waren, um alle schlafenden Passagiere aufzuwecken, keine Alarmübung durchgeführt worden war, so daß noch nicht einmal alle Plätze, die auf den Rettungsbooten vorhanden waren, besetzt wurden.

War es die Tatsache, daß ausgerechnet auf der Jungfernfahrt des damals größten und modernsten Schiffes seiner Zeit, eine furchtbare Katastrophe geschah.

War der Untergang ein Fanal, ein Menetekel, das die Hybris, den Glauben an die Machbarkeit, die technische Überlegenheit des Industriezeitalters zunichte machte?

Wohl nicht. Die Untersuchung zeigte, daß  kein wesentlicher Mangel vorlag, es war ein Unglück, kaum vermeidbar. Die Sicherheitsmängel, die dieses Unglück aufzeigte, wurden behoben. Wenige Jahr später hätte sich ein solcher Unfall aufgrund der technischen und rechtlichen Verbesserungen nicht mehr ereignen können.

Viele Mythen kursieren über den Untergang dieses Schiffes. Angeblich glaubten die Schiffseigner und der Kapitän an die Unsinkbarkeit des Schiffes - was nicht zutraf. Der Kapitän des Schiffes scheiterte angeblich an seinem Ehrgeiz und seiner Arroganz - was die Untersuchung nicht bestätigte. Der Kapitän ging mit seinem Schiff unter, wie es der Ehrenkodex des Gentleman zur See von ihm erwartete.

Der höhere Anteil der Geretteten in der ersten und zweiten Klasse gegenüber der dritten bestätigte angeblich die Gewissenlosigkeit der britischen Klassengesellschaft. Auch dies traf nicht zu.

Weniger die Klassenzugehörigkeit bestimmte, wer sterben mußte, und wer überlebte, sondern die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Die Überlebensrate der Frauen und Kinder, die auf dem Schiff waren, war dramatisch höher, als die Überlebensrate der Männer. So überlebten von den Passagieren der 2. Klasse alle Kinder und 86% der Frauen aber nur 8% der Männer. Unter der Mannschaft, den Passagieren der 1. und 3. Klasse war das Verhältnis der beiden Geschlechter unter den toten und Überlebenden weniger dramatisch, doch während von den Frauen und Kindern 70% überlebten, überlebten von den Männern nur 20%.

Die Offiziere, die die Evakuierung überwachten, hielten sich weitgehend strikt an die Birkenhead-Regel: Frauen und Kinder zuerst. Der Offizier Lightoller, der für die Evakuierung der Backbordseite zuständig war, ließ nur Frauen und Kinder in die Boote, selbst dann, wenn die Boote nicht bis auf den letzten Platz besetzt waren.

Mich beschäftigt der Gedanke, was die Männer an diesem Schiff antrieb. Und wie sich wohl die Männer auf einem sinkenden Schiff heute in Zeiten der "Gleichstellung" verhielten. "Frauen und Kinder zuerst" - gilt das noch?

Vielleicht erinnerten sich die verheirateten Männer auf der Titanic an die Lesung aus dem Epheserbrief, der ihnen, ob katholisch oder evangelisch oder anglikanisch bei ihrer Eheschließung vorgelesen worden war.
Ihr Männer, liebet eure Frauen, gleichwie auch Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, (Epheser 5,25)
Die Lesung ist nicht mehr pc. Selbst in der katholischen Leseordnung wird nur noch - wenn überhaupt - ein Torso der früheren Lesung gelesen. Die wenigsten Eheleute entscheiden sich für den "alten" Text.

Der moderne Lebensabschnittsbegleiter will sich nicht daran erinnern lassen, daß von ihm die Hingabe seines ganzen Lebens erwartet wird.

Wie würde sich wohl der moderne Mann verhalten, versetzte ihn eine Zeitmaschine in das Zeitalter der "Birkenhead" oder der "Titanic"? So wie der Kapitän der "Costa Concordia"? Der ist bekanntlich zufällig in eines der ersten Rettungsboote gefallen, als die Evakuierung noch lange nicht abgeschlossen war.

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