W.E.v.K Der Löwe von Mainz |
Ich gebe mich nicht mehr der Illusion hin, daß christliche Politik, die wirklich etwas bewegt, noch möglich ist. Die politischen Niederlagen, die engagierte Christen in der Politik allein in den letzten fünfzig Jahren hinnehmen mußten, zeigen, daß die Einflußmöglichkeiten für Christen in der Politik parallel zu den Einflußmöglichkeiten von Christen in der Öffentlichkeit gegen Null tendieren.
Die Christdemokratie, von ihrem Anspruch als Verteidigerin des "christlichen Sittengesetzes" angetreten, hat letztenendes versagt. Politisch engagierte Christen sollten sich eingestehen, daß der Versuch, innerhalb der etablierten Parteien zu wirken, auch innerhalb von CDU und CSU, gescheitert ist. Die Alternative, auch da sollten wir illusionslos sein, ist eine Kleinpartei. Wir müssen uns auf absehbare Zeit damit begnügen, auf dem Wahlzettel ein Kreuz bei einer Partei machen zu können, die wenigstens das Prädikat "christlich" für sich in Anspruch nehmen kann, Eine Chance auf Teilhabe gibt es für uns nicht mehr.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die "Alternative (für Deutschland)" halte ich nicht für eine Alternative, schon gar nicht für eine christliche.
Das Konzept "Sammlungspartei", das das Konzept der CDU/CSU war, ist gescheitert. In Wahrheit hat diese Sammlungspartei nur mit zeitlicher Verzögerung den antichristlichen Zeitgeist nachvollzogen. Sie hat die "Déchristianisation" bestenfalls gebremst, statt sie zu verhindern.
Ein Blick zurück
Ich blicke nun auf mehr als 50 Jahre politischen Bemühens zurück. Ich sehe keinen Fortschritt zum Besseren. Nur beispielhaft sei hier die Entwicklung von Familie, Religion und Familienrecht genannt.
Die unmittelbare Nachkriegszeit wird heute als das "golden age of marriage" bezeichnet, oder anders gesagt als das goldene Zeitalter der christlichen Ehe und Familie. Nie war die Zahl der Eheschließungen so hoch und die Zahl der Scheidungen so gering, die optimalen familiären Bedingungen sorgten gleichzeitig für den sogenannten Baby-Boom bis Anfang der sechziger Jahre.
Auch der Bevölkerungsanteil der Mitglieder der christlichen Konfessionen lag 1950 bei nahe 100%. Doch der Bevölkerungsanteil der beiden großen christlichen Konfessionen ging von 1951 bis 2016 von 96,4 % auf heute 55% zurück.
Je weniger Christen aber, um so weniger auch - der Form nach - christliche Ehen. Kamen in den 50iger Jahren auf mehr als zwölf Eheschließungen nur eine Ehescheidung, so kamen in den 2000er Jahren weniger als zwei Eheschließungen auf eine Ehescheidung. Lag die Zahl der Eheschließungen 1950 bei rund 750.000, liegen sie heute bei weniger als 400.000. Lag die Zahl der Geburten in den 60igern bei bis zu 1,3 Mio, liegt sie heute bei um 700.000, ein Drittel der Kinder werden als Kinder unverheirateter Mütter geboren.
Die Straße ins Nirgendwo
Die christlichen Sammlungsparteien setzten dieser Entwicklung keinen nachhaltigen Widerstand entgegen, vielmehr waren CDU/CSU an der allmählichen Dékonstruktion von christlicher Ehe und Familie beteiligt. Seit dem 30.6.2017 ist dieser Widerstand völlig zusammengebrochen. Es war eine "christ"demokratische Kanzlerin, die die "Ehe für Alle" möglich machte. Nun ist aber die Ehe für Alle, so etwas wie das Abitur für Alle, ein Muster ohne Wert.
Die Entwicklung begann in den Sechzigern mit einer scheinbar bedeutungslosen Änderung des Sexual-Strafrechts. Man wollte, so die damaligen Koalitionsparteien, nämlich CDU und SPD, das Sexualstrafrecht auf "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" konzentrieren. Das Sexualstrafrecht sei nicht dazu da, sittliche Normen zu verteidigen. Aus dem StGB-Kapitel "Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" (RStG 1871) wurde das Kapitel "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung". Außereheliche Sexualität wurde entkriminalisiert, die Prostitution wurde teilweise legalisiert, der Straftatbestand des Ehebruchs abgeschafft, Homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen waren nunmehr straflos, und Pornographie wurde weitestgehend zugelassen.
Daß diese Maßnahmen - von den Sexualrevolutionären als zu wenig weitgehend kritisiert - fatale Spätfolgen hatten, wissen wir heute. So hat der inzwischen praktisch unbegrenzte Zugang zu Pornographie die sexuellen Beziehungen regelrecht vergiftet, Promiskuität wurde zur vorherrschenden Kultur, Prostitution ist eine "normaler Beruf", Ehebruch ist geradezu chique.
Es folgte nach 1969 eine bis dahin beispiellose Erosion von Straf- und Familienrechtsvorschriften die dem Schutz und der Sicherung der "Alleinstellung" der Ehe dienten: Abschaffung des Schuldprinzips bei Ehescheidungen 1976 (SPD/FDP), Einführung der "Eingetragenen Lebenspartnerschaft" 2001(SPD/Grüne), Legalisierung der Prostitution 2002 (SPD/Grüne), Abschaffung des "Betreuungsunterhalts" (den die geschiedenen Mütter ehelicher Kinder beanspruchen konnten) 2008 (CDU/CSU/SPD), und schließlich als Höhepunkt die Homo-Ehe, "Ehe für Alle" genannt 2017 (CDU/SPD/FDP/Grüne/Linke). CDU/CSU waren daran beteiligt, oder leisteten nur hinhaltenden Widerstand.
Wohlmeinende neue "soziale Rechte" gehören ebenfalls in diese Kategorie. Der Anspruch auf einen "Kindergartenplatz" wurde 1996 /CDU/CSU/FDP) geschaffen. Mit den Folgegesetzen, die eine forcierte Verstaatlichung der Kindererziehung förderten, erfüllte ausgerechnet Kohl einen zentralen Programmpunkt des "Kommunistischen Manifests".
Auch die Änderung des Abtreibungsrechts gehört hierher. Es ist kaum etwas so essentiell Christliches zu finden, wie das Verbot der Abtreibung. Das Verbot der Kindstötung und Abtreibung gehört wie das Scheidungsverbot zu den frühchristlichen "Alleinstellungsmerkmalen" mit dem sich Christen in der Antike von ihrer Umwelt unterschieden, und schließlich diese Umwelt überflügelten. Auch hier begann die Erosion schon 1969 mit der Herabsetzung der Strafandrohung für die Abtreibung.
Die Reform des § 218 in den 70iger Jahren war keineswegs so kontrovers, wie man annehmen könnte. Vielmehr stritt hier die "Indikationenlösung" (CDU/CSU) gegen die "Fristenlösung" (SPD/FDP). Auch die CDU/CSU war damals keineswegs mehr auf ihrem ursprünglichen programmatischen Stand. Heute ist das "unantastbare Recht der Ungeborenen auf Leben " der sich etwa im CSU Programm von 1957 findet, längst von den christdemokratischen Parteien ad acta gelegt. Grußadressen einzelner Abgeordneter an den in Deutschland besonders kümmerlichen "Marsch für das Leben" stellen das Alleräußerste dar, was sich ein Christdemokrat heute leisten kann.
Keine Partei würde es heute wagen, noch eine Re-Form des § 218 zu fordern.
Geburtsfehler und Ursünde der Christdemokraten
Wenn man nun die vergangenen sieben Jahrzehnte betrachtet, bleibt ein deprimierendes Ergebnis. Am Anfang dieser Geschichte, der Geschichte der christlichen Politik in der Bundesrepublik Deutschland, schien es zunächst nicht wichtig, daß die Christdemokraten programmatisch eben so diffus waren, wie es eine Sammlungspartei, als die sich die CDU/CSU von Anfang an verstand, ja notwendig war. Das christliche momentum war noch stark genug, um die Politik auf christlichen Kurs zu halten. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus hatten zu einer Stärkung der christlichen Kultur geführt. Selbst "Kulturatheisten", wie das Ehepaar Loki und Helmut Schmidt, traten der Evangelischen Kirche bei, um ein Zeichen zu setzen
Am Ende aber führte das Fehlen einer politischen Konkurrenz und die politische Unverbindlichkeit einer ja bewußt als programmatisch offene Sammlungspartei gegründeten Christdemokratie zur Selbstzerstörung.
Warum begnügten sich die ehemaligen christlich-konservativen Politiker des Zentrums, die 1945 die CDU mitbegründeten , nicht mit der Neugründung des Zentrums?
Es gibt mehrere Gründe. Ein sehr honoriger war, daß man mit den Kampfgenossen des Widerstands weiter zusammenarbeiten wollte. Die durchaus richtige Auffassung, daß die Zersplitterung der christlichen, liberalen und konservativen Kräfte zum Sieg des Nationalsozialismus beitrug, legitimierte noch zusätzlich das Konzept der "Sammlungspartei".
Der "Adenauerismus"
Ein weniger honoriger Grund aber war, daß man die Macht nicht mit Konkurrenten teilen wollte. So wurde die konservativ-protestantische DP mit dem Mittel des Wahlrechts liquidiert. CDU/CSU und FDP schufen ein Wahlrecht, daß die überregionalen organisierten Parteien bevorzugte, die regional orientierten Parteien benachteiligte. Dies war das Ende von regional starken, aber national schwachen Parteien wie Zentrum, DP, GB/BHE und Bayernpartei.
Verbunden war diese Politik vor allem mit der Person Adenauers. Er war gleichsam der Bismarck der Nachkriegszeit. Effizient, aber tödlich.
Endspiel
Es blieb eine Partei, die dem Drängen des Zeitgeistes nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Die Breiigkeit der aktuellen deutschen Politikszene, hat ihre Ursache vor allem in der programmatischen Unschärfe des Personals und des Programms der größten deutschen Partei, der CDU. Was dies für das christliche Anliegen bedeutet, hat der manchmal kauzige, nicht immer kluge, aber immer hörens- und lesenswerte und urkatholische Dr. phil. Norbert Blüm in einem zutiefst traurigen Kurzbeitrag wie folgt zusammengefasst:
Wahr ist, dass meine Partei Ehe und Familie dem Zeitgeist ausgeliefert hat. Dabei ist die Ehe vielleicht die letzte antikapitalistische Gemeinschaft, in der nicht „mein“ und „dein“ gilt, sondern „wir“. Wir sind dabei, die Ehe in einer reinen Geschäftsbeziehung aufzulösen. Das führt in eine tiefe Unsicherheit. Auf nichts mehr ist Verlass. Alles wird eine Sache des Geldes. Ich glaube, dass es in dieser globalisierten Welt dennoch eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit und ein Bedürfnis nach Privatheit gibt. Familie ist der Versuch einer Antwort darauf. Jetzt geht es – auch meiner Partei – nur noch um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei näherem Hinsehen handelt es sich um die Unterordnung der Familie unter die Belange der Wirtschaft.Es gibt sie noch, die guten Dinge
Für meinen Teil ging es nun zurück zur "Zentrums"-Partei. Ob das für andere gelten kann, weiß ich nicht. Ich wäre glücklich, wenn sich ein paar meiner alten Freundinnen und Freunde anschließen. Und ich wäre froh, gäbe es wenigstens eine Partei, bei der ich mein einsames Kreuzchen bei den nächsten Wahlen machen könnte, ohne Magengrimmen und ohne das Gefühl, wieder nur das "kleinere Übel" oder die "Protestpartei" zu wählen.
Sicher, es gibt andere, sogar größere christliche Kleinparteien. Aber was haben die zu bieten gegen eine Partei, die der vielleicht bedeutendste christliche Politiker der deutschen Geschichte mitbegründet hat, der Bischof und "Vater" der katholischen Soziallehren, Wilhelm Emmanuel von Ketteler? Was übertrifft die von Ketteler begründete Katholische Soziallehre?
Ich habe aus der Geschichte der CDU, der ich einige Jahre angehört, und die ich viele Jahrzehnte zumindest mit der Erststimme gewählt habe, gelernt, daß Sammlungsparteien stets der Schwerkraft folgen. Der Schwerkraft des Zeitgeistes. Man will ja nicht nur gewählt werden, was auch das Ziel ideologisch klarer Parteien ist, man will koste es, was es wolle, Wahlen gewinnen und um buchstäblich jeden Preis regieren. Und sei es um den Preis des Untergangs der eigenen Idee.
In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. (Friedrich von Logau 1605 - 1655)