Kaum ein Halbsatz hat den linksliberalen journaillistischen Sumpf so heftig aufwallen lassen, wie Bergoglios These von der "armen Kirche an der Seite der Armen". Das deutsche Folliton ist begeistert, die Journaille klatscht frenetisch Beifall, die FDP stellt gleich die nötigen Anträge. Die haben zwar nur das Ziel, die Kirche ärmer zu machen, doch irgendwo muß man ja schließlich anfangen.
Ich habe ja schon darauf gewartet, daß einer unser katholischen Prälaten einstimmen würde, und in der Tat, einer gab ein Interview und seit wenigen Tagen ist alles anders mit der katholischen Soziallehre. Kein Blatt Papier paßt nunmehr zwischen die Kirche und die Linkspartei. Kardinal
Woelki ist für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Bingo! Aber ist das auch katholisch?
Nein. Ganz im Gegenteil. Aber zunächst muß man das Ziel der Vermögenssteuer verstehen. Die Vermögenssteuer ist eine Substanzsteuer, sie wird grundsätzlich erhoben ohne Rücksicht auf das Einkommen des Steuerpflichtigen, ebenso wie die erwähnte Erbschaftssteuer, wie Grundsteuer und Grunderwerbssteuer. Daß sie ohne Rücksicht darauf erhoben wird, ob der Steuerpflichtige die Steuer aus seinem Einkommen erwirtschaften kann, oder ob er gezwungen ist, einen Teil seinesVermögens zu verkaufen, war für das
Bundesverfassungsgericht einer der Gründe, die Vermögenssteuer in ihrer früheren Form für verfassungswidrig zu halten.
Die Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt läßt und aus den üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträgen (Sollerträge) bezahlt werden kann. Andernfalls führte eine Vermögensbesteuerung im Ergebnis zu einer schrittweisen Konfiskation, die den Steuerpflichtigen dadurch übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde
Es geht bei den reinen Substanzsteuern, als bei Erbschafts-, Vermögens-, Grund- und Grunderwerbssteuer stets um die entschädigungslose Enteignung von Vermögen. Wer nun glaubt, und Woelki scheint dies zu glauben, dies entspreche der katholischen Soziallehre, ist schief gewickelt. Das Grundgesetz der katholischen Soziallehre, nämlich die Enzyklika
"rerum novarum" Leos des XIIIten besagt eindeutig das Gegenteil.
Leo XIII lobt die großen Vorzüge, die eine gleichmäßigere Verteilung des Eigentums für den Einzelnen und die Gesellschaft hat, und am Ende dieser Lobeshymne ermahnt er die Staatenlenker, nicht durch überhöhte Steuern dieses Eigentum zu konfiszieren. Leo ist, um es mit einem Begriff zu beschreiben, den Chesterton und Belloc geprägt haben, Distributist. Es ist keineswegs und keinesfalls Sozialist. Die Enzyklika rerum novarum enthält vielmehr eine heftige Kritik an den sozialistischen Utopien seiner Zeit. Leo will nicht das Eigentum abschaffen, sondern es gleichmäßiger verteilen.
Ein gleichmäßigere Verteilung des Eigentums mildere erstens den Konflikt zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen, es steigere zweitens die Produktivität der menschlichen Arbeit (Leo sagt das Jahrzehnte vor der Entdeckung des TLC-Faktors durch E.F. Schumacher), und fördere drittens den Patriotismus und das Wohlbefinden der Menschen. Und was den Staat und die Steuer angeht:
Diese drei wichtigen Vorzüge können nur bewahrt werden, wenn sichergestellt ist, daß eines Mannes Einkommen und Vermögen nicht durch exzessive Besteuerung entzogen und erschöpft wird. Das Recht auf Privateigentum beruht nicht auf menschlicher Satzung, sondern folgt aus dem Naturrecht; der Staat hat zwar das Recht, den Gebrauch des Eigentums im Interesse des gemeinen Wohls zu kontrollieren, aber niemals das Recht, dieses Eigentum an sich zu reißen. Der Staat handelt also ungerecht und gewaltsam, wenn er unter dem Titel der Besteuerung dem privaten Eigentümer mehr entzieht, als angemessen und gerecht ist.
Hilaire Belloc hat dies wenige Jahre später in seinem Buch über den "Servile State" in ein Motto übersetzt:
...If we do not restore the Institution of Property we cannot escape restoring the Institution of Slavery; there is no third course.
Es fehlt hier der Raum, um die Enzyklika vollständig zu kommentieren. Aber Leos Rezepte für die Beantwortung der "sozialen Frage" sind wesensgemäß andere, als die der Sozialisten. Leo fordert zunächst einen gerechten Lohn auch für den einfachen Arbeiter, der ausreichen müsse, um nicht nur die elementaren Bedürfnisse eines Arbeiters und seiner Familie zu befriedigen, sondern auch, um Vermögen anzusparen und Eigentum zu schaffen.
Leo setzt auf moralische Aufrüstung in jeder Hinsicht, auf Privateigentum, auf eheliche Treue, auf die Familie als das Fundament jeder gerechten gesellschaftlichen Ordnung und auf gegenseitige Hilfe. Er setzt nicht auf den Staat, von dem er vielmehr Zurückhaltung und nicht zuletzt eine nur moderate Besteuerung verlangt, unter Beachtung des Naturrechts auf Privateigentum. Er verteidigt, weil er Familie und Privateigentum verteidigt, auch das Erbrecht. Er setzt auf den freien und unvorbemundeten Bürger, der in der Lage ist, mit der Hilfe seiner Familie, seiner Nachbarn, seiner Mitarbeiter, seiner Gemeinde seine eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten.
Lesen wir nach dieser Vorbereitung das Interview des Kardinals mit dem Tagesspiegel:
... der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass die Kluft hier immer größer wird. Mit Blick auf die Einkommen ist eine Angleichung erfolgt, aber nicht, was die Vermögen angeht. Es kann nicht sein, dass nur etwa zehn Prozent der reichsten deutschen Haushalte 58 Prozent des Privatvermögens besitzen.
Sollte diese Gruppe mehr Steuern zahlen?
Es muss eine stärkere Besteuerung der Vermögen, beispielsweise über die Erbschaftssteuer, gefunden werden und ein stärkerer sozialer Ausgleich.
Können die Rezepte von Sozialisten, die durch konfiskatorische Vermögenssteuern - oder durch die Abschaffung des Erbrechts - das Eigentum zerstören wollen, kompatibel sein mit der katholischen Soziallehre? Kann eine politische Kraft, die das Eigentum zerstören will, die Rezepte liefern für eine politische Kraft, die die Zahl der Eigentümer vermehren will? Wohl kaum.
Daß höhere Steuern - der heutige Staat nimmt soviel Steuern ein wie noch nie in der deutschen Geschichte - auch zu einer gerechtere Vermögensverteilung führen kann eigentlich niemand im Ernst behaupten. Die Steuern steigen und steigen, aber die Vermögensverteilung bleibt seit Jahrzehnten immer gleich. So besitzen in Deutschland die wohlhabendsten 20 Prozent der Bevölkerung 75 % des Immobilienvermögens. Die nächsten 20 Prozent der etwas weniger Wohlhabenden besitzen weiter 25 %. Der Rest besitzt nichts. Vor fünfzig Jahren war das schon genau so.
Verändern höhere Steuern, vor allem Substanzsteuern ,diese Eigentumsverteilung zugunsten der weniger Vermögenden? Das Gegenteil ist richtig. Wer die Vermögenssubstanz besteuert, vermehrt nicht die Zahl der Vermögenden, sondern vermindert sie. In Ländern wie Frankreich, die eine noch wesentlich brutalere Erbschaftssteuer kennen, enden viele Söhne von Unternehmern als Angestellte in den Unternehmen, die ihre Väter gegründet haben, weil sie nach Eintritt des Erbfalls das Unternehmen verkaufen mußten, um die Erbschaftssteuer zu zahlen. Das Unternehmen wird dann meist durch Kapitalgesellschaften übernommen, denen die Erbschaftssteuer völlig wurst ist, weil sie sie nicht zahlen müssen.
Sozialistische Rezepte führen eben zu sozialistischen Ergebnissen. Oder zum Staatskapitalismus. Was grosso modo das selbe ist. Das kann man eigentlich schon bei Leo dem XIIIten nachlesen. Oder bei Chesterton. Oder bei Hilaire Belloc. Oder bei E.F. Schumacher. Alles brave Katholiken.